Die Irren-Offensive Nr.8 - 4/99
(Zitat Gert Postel) |
Gert Postel
"Der Spiegel", "Die Welt", "FAZ", "Berliner Zeitung". |
Der Spiegel
Heft 29/1997, Seite 34
Ein Gaukler, ein Artist
Wieder ist Gert Postel als "Hochstapler entdeckt" worden, er brauchte nicht einmal einen falschen Namen, um als Psychiater aufzutreten.
Von Gerhard Mauz
Gert Postel ist für die Psychiatrie, was Jürgen Schneider für die Banken und das Geschäft mit Immobilien darstellt - ein Alptraum, ein Gespenst. Die Wirklichkeit hat wieder einmal zugeschlagen und jede Erfindung so übertroffen, daß unglaubhaft erscheint, was sich tatsächlich ereignet hat.
Vom September 1982 bis April 1983 war Gert Postel stellvertretender Amtsarzt in Flensburg. Unter seiner Leitung und Aufsicht sank die Zahl der Zwangseinweisungen um 86 Prozent. Legte jemand Beschwerde gegen seine Entscheidung ein, wurde sein Befund vom Landgericht bestätigt. Aber die Arbeit strengte ihn an. Er bewarb sich bei der psychiatrischen Klinik der Universität Kiel und bekam einen Anstellungsvertrag, damit er nicht im Gesundheitsamt versauere.
Die Welt
Und so reformiert der Postel von der Post als Amtsarzt die Einweiungspraxis in psychiatrische Kliniken, leitet den sozialpsychiatrischen Dienst, ist amtlich bestellter Hafenarzt und Leichenbeschauer. Er schreibt Gutachten und hält sogar Vorträge vor Fachkollegen.
Das Vokabular für seine Testate schaut er sich bei Kollegen ab: Schweigsame Patienten leiden unter "symptomschwacher autistischer Psychose", lebhaftere unter "akuter Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis". Das überzeugt. "Es gab nie Beanstandungen oder Zweifel an meiner Fachkompetenz", wird Postel später triumphieren. Und es bringt ihn auch nicht aus dem Gleichgewicht, als er in Bremen von einem Schöfengericht wegen seiner Hochstapelei zu 600 Mark Geldbuße verurteilt wird. Postel soll während der Verhandlung oft auf die Uhr geschaut haben: Wenig später mußte er auch in Flensburg vor Gericht erscheinen - dort als psychiatrischer Gutachter.
Zwei Jahre später wird sein Karrieresprung als Dr. med Dr. phil. im sächsischen Zschadraß bekannt. "Der Mann hat mich sofort überzeugt", sagt der Klinikchef später. "Sein Auftreten, seine Referenzen. Ich dachte, einen besseren Arzt können wir nicht kriegen."
Bis heute hält sich hartnäckig die Behauptung, der Hochstapler habe als vermeintlicher Arzt "eigentlich keinen schaden" angerichtet. Obwohl er während seiner fast zweijährigen Tätigkeit als Leiter des Maßregelvollzugs Dutzende Male vor Gericht als Gutachter auftrat und deswegen Prozesse danach neu aufgerollt werden mußten.
Der Betrüger stand sogar unmittelbar vor einer C4-Professur als Chef des Landeskrankenhauses für Psychiatrie und Neurologie in Arnsdorf. Das sächsische Kabinett befürwortete seine Ernennung im Juli 1996. Postel trat jedoch von sich aus zurück. Vermutlich befürchtete er nach einem unbequemen Gespräch mit dem Ärztlichen.Leiter Hubert Heilemann, enttarnt zu werden. Höhepunkt der Groteske: Heilemann wird vom Sozialministerium gerügt; habe er doch mit seinen Fragen einen erfolgversprechenden Aspiranten vergrault.
Honorar für Hochstapler
Der zu vier Jahren Haft verurteilte Hochstapler Gert Postel darf wahrscheinlich seine Honorare über insgesamt 44 000 Mark behalten, die er für Gerichtsgutachten als Psychiater kassiert hat.
Das berichtet das Nachrichtenmagazin "Focus". Während seiner erschwindelten Tätigkeit als Oberarzt in der Psychiatrieklinik Zschadraß war der gelernte Postbote für 23 Strafverfahren als Gutachter bestellt worden. Sachsens Justizministerium prüft zwar eine Rückforderung, habe bislang jedoch kein Verfahren eingeleitet, obwohl Postel schon 1997 enttarnt wurde. Die Aussicht, das Geld einzuklagen, werde als schlecht eingeschätzt. Postels Anwalt Jürgen Fischer betonte, eine Chance gebe nur, wenn die Fehlerhaftigkeit der Gutachten nachgewiesen
werde. Vom Gericht war jedoch keine einzige der Expertisen zurückgewiesen oder angefochten worden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Er habe in Zschadraß vor allem organisatorische Aufgaben wahrgenommen und zum Beispiel Urlaubspläne erstellt, "was nicht einfach war". Aus dem medizinischen Geschehen habe er sich weitgehend herausgehalten. "Manchmal habe ich mich gefragt, ob die Stelle nicht überflüssig war."
Berliner Zeitung
Erfolgreiche Bewerbung
Aber auch den Psychotherapeuten hat er nur Geschichten erzählt.
Und selbst, als er 1993 in der Berliner Charité wegen starker endogener Depressionen in der psychiatrischen Abteilung lag, konnte er es nicht lassen, auf seine Weise Anerkennung zu suchen. Vom Krankenhaustelefon aus bewarb er sich als Psychiater beim Berufsförderungswerk Berlin-Brandenburg. Erfolgreich übrigens. Als er entdeckt wurde, zeigte er sich selbst an.
Postel hatte sich zwar die "psychiatrische Begriffswelt" angeeignet, wie sein ehemaliger Chef in Zschadraß, Horst Krömker, sagt, aber eigentlich, das gesteht Postel dem Vorsitzenden Richter Erich Drath, hat er von Psychiatrie keine Ahnung.
Und selbst wenn er die Stelle eines Chefarztes der forensischen Abteilung im Landeskrankenhaus Arnsdorf angenommen hätte, die ihm Gesundheitsminister Hans Geisler (CDU) angeboten hatte, hätte er - anders als vom Ministerium nun dargestellt - dafür kein Führungszeugnis gebraucht.
Als eine Richterin des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten 1994 gegen Postel wegen Ladendiebstahls ermittelt, ruft er bei ihr als Richter Dr. Baerenbourg vom Amtsgericht Hamburg an und sagt, auch er habe Postel verurteilt, deshalb könne die Berliner Sache eingestellt werden. Er bittet um die Unterlagen, die die Richterin auch sogleich losschickt. Damit sich die Hamburger Justiz nicht über die Akten aus Berlin wundert, meldet sich Postel dort als Beamter vom Amtsgericht Tiergarten und entschuldigt sich für die fehlgeleitete Sendung: "Zerreißen Sie's einfach." Nach weiteren Anrufen des vermeintlichen Hamburger Richters stellt die Berliner Richterin das Verfahren ein.
Stolz läßt Postel seine Verteidiger nachhaken, wie viele Wiederaufnahmeverfahren es wegen seiner in 25 Strafverfahren gefälschten Gutachten gegeben hatte und mit welchem Erfolg. Nur zwei, räumt der Vorsitzende Richter Drath ein - und beide ohne Erfolg. Postel sieht das als Wertschätzung seines Hochstapelns.